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Chronischer
Schmerz
Von Dipl.-Psych. Jürgen Dittmar
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Ziel dieses Artikels ist es, Probleme, die bei lang
andauernden Schmerzen auftreten können, zu beschreiben. Aus diesen
Beschreibungen ergeben sich Hinweise darauf, was – nach heutigem
Kenntnisstand – bei einer schmerztherapeutischen Behandlung Berücksichtigung
finden sollte.
Schmerz:
chronisch/akut eine wichtige
Unterscheidung
Was ist Schmerz eigentlich? Eine Frage, die gar nicht so einfach zu beantworten
ist, wie es vielleicht auf den ersten Blick erscheint. Nach einer Definition der Internationalen
Gesellschaft zum Studium des Schmerzes aus dem Jahre 1979 ist Schmerz
„ein unangenehmes Sinnes- und Gefühlserlebnis, das mit aktueller oder
potentieller Gewebsschädigung verknüpft ist oder mit Begriffen einer
solchen beschrieben wird“.
Diese Definition weist darauf hin, dass Schmerz ein
Vorgang ist, der nicht allein durch körperliche
Prozesse erklärbar ist. Schmerz ist ein Erleben und damit erst mal rein
subjektiv. Die verwendeten
Worte beziehen sich auf eine körperliche Schädigung, ohne dass diese
vorhanden sein muss.
Von entscheidender Bedeutung für die Behandlung von Schmerzen ist die
Unterscheidung zwischen akutem und
chronischem Schmerz. Von chronischem Schmerz spricht man, wenn Schmerzen über eine Zeitspanne
von 6 Monaten hinaus andauern. Man geht heute davon aus, dass
sich chronische Schmerzen und akute Schmerzen stark voneinander unterscheiden.
Akuter Schmerz
hat einen Signalcharakter! Von den alten Griechen als "bellender Wachhund der Gesundheit"
bezeichnet weist er auf eine Gewebeschädigung
oder eine funktionelle Störungen hin. Beim chronischen (langandauernden) Schmerz ist dies anders. Der
Schmerz hat seinen Signalcharakter verloren. Schmerz wird zur eigentlichen Krankheit.
Oft weist er nicht mehr auf eine
körperliche Schädigung hin. Stattdessen ist er das Ergebnis sehr unterschiedlicher miteinander in
Wechselwirkung stehender körperlicher und seelischer Veränderungen, für
die die Verletzung nur der
erste Anstoß war.
Der
Weg in die Schmerzkrankheit
Wie entwickelt sich eine Schmerzkrankheit?
Am Anfang steht
in den meisten Fällen eine körperliche oder seelische Verletzung oder
eine Entzündung, die mit akuten Schmerzen einhergeht.
Chronische Schmerzen können entstehen,
-
wenn die ursprüngliche Erkrankung mit oder ohne Gewebeveränderungen
chronifiziert,
-
wenn durch neuroplastische
Veränderungen das Nervensystem dauerhaft überaktiv bleibt
-
wenn die akute Verletzung/Entzündung
zu
Verhaltensänderungen (Schonhaltungen, muskuläre
Verspannungen, Ängste, Depressionen etc.) führt, die eine
Chronifizierung begünstigen oder
-
wenn ein „akuter seelischer Schmerz“
nicht „abheilt“.
Oft treten Kombinationen der
verschiedenen Faktoren auf.
Zu
a. In der folgenden Aufstellung finden Sie einige Beispiele für Erkrankungen, die oft mit dauerhaften Schmerzen einhergehen:
Trigeminusneuralgie
Zosterneuralgie
sympathische Reflexdystrophie (Morbus Sudeck)
Migräne
medikamenteninduzierter Kopfschmerz
Multiple Sklerose
Polyarthritis
Tumorerkrankungen.
Zu
b. Bei neuroplastischen Veränderungen des Nervensystems stellt man
sich vor, dass
sich ein Schmerzgedächtnis
ausgebildet hat. Der Schmerz
hat sich verselbstständigt! (Dies kann
auch bei oben genannten Erkrankungen der Fall sein.) Für die Schmerzleitung zuständige Nerven haben sich verändert.
Veränderungen findet man sowohl
im peripheren wie auch im Zentralnervensystem. Das bedeutet, dass sich die Schmerzschwellen der schmerzleitenden
Nervenzellen verändert haben. Diese Zellen reagieren schon bei geringsten
Reizen (leichte Berührungen, kalter Lufthauch, etc.) mit starker
Aktivität (z.B. Phantomschmerz/ Stumpfschmerzen nach Amputationen). Im Großhirn mancher Patienten haben sich auch
Gehirnareale, die auf Schmerzimpulse aus dem peripheren
Nervensystem reagieren, stark ausgeweitet. Das Nervensystems ist geneigt,
auf geringfügige äußere Reize mit Schmerzen zu reagieren. Dieser Prozess ist manchmal nur mit größer Mühe umkehrbar. Aber so wie wir im Alltag Dinge vergessen können, können auch die Gedächtnisspuren im Nervensystem rückgängig gemacht oder
abgeschwächt werden. In der Praxis erweist sich
dies oft als schwierig,
da bei der Entstehung, bei der Aufrechterhaltung als auch beim Vergessen
chronischer Schmerzen sowohl seelische als auch körperliche Prozesse
beteiligt sind.
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Zu c. Neben Veränderungen
im Nervensystem spielen bei der Chronifizierung auch emotionale (gefühlsmäßige)
Einflüsse und Verhaltensänderungen eine große Rolle. So kann die wahrgenommene Schmerzintensität durch Ängste
verstärkt werden. Angst und Schmerz
können sich
wie in einem Teufelskreis wechselseitig hochschaukeln.
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Abb. 1: "Teufelskreis"
des Schmerzes
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Schmerzen werden als bedrohlich erlebt. Dies ist bei chronischen Schmerzen
oft noch ausgeprägter als bei akuten, da die Ursachen so schwer greifbar
sind. Resultierende Angst bewirkt u.a. vermehrte Muskelanspannung, die oft
zur Verstärkung der Schmerzwahrnehmung beiträgt. Mit der Angst gehen oft Gefühle der Hilflosigkeit oder sogar der
Verzweiflung einher, da man keinen Weg findet den Schmerzen zu
beeinflussen.
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Andauernder Schmerz verursacht nicht selten Depressionen .
Da die Betroffenen durch das Schmerzgeschehen in ihren Alltagsaktivitäten
eingeschränkt werden, Hobbies und Ablenkung bietende Aktivitäten
aufgeben und sich aus sozialen Kontakten zurückziehen, geht die Freude am
Leben verloren.
Dies reduziert Antrieb und Energie, fördert negative Selbstbewertungen
(„Ich bin zu nichts mehr nütze!“;
„Ich verhalte mich wie eine alte/r Frau/Mann.“), nimmt den Mut und
Eigeninitiative und verursacht
weiteres Schonverhalten, was sich wiederum negativ auf die Schmerzen
auswirkt.
Manchmal wird nach Ausheilen der ursprünglichen Verletzung der Schmerz
durch das Andauern der Schutzreaktionen (Muskelverspannungen und Schonhaltungen) aufrechterhalten.
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Abb. 2: Zusammenhang
zwischen dauerhaften Muskelverspannungen und Schmerz
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Unabhängig vom ersten verletzenden Reiz
spielt bei der Chronifizierung des Schmerzes
eine große Rolle, wie
ein Mensch mit Schmerzen umgeht. Menschen, die auf Schmerzen mit Hilflosigkeit oder
katastrophisierenden Gedanken reagieren, die ihre sozialen und körperlichen Aktivitäten
einschränken und den Schmerz zum Lebensmittelpunkt werden lassen, haben
ein hohes Risiko, an Dauerschmerzen zu erkranken. Eine Neigung zur chronischen Selbstüberforderung, mit übertriebener
Angst Schwächen und
Hilflosigkeit zu zeigen, erhöhen die Gefahr, dass nach einer akuten
Verletzung ein dauerhafter Schmerz entsteht. Ebenso kann maßloser Ehrgeiz
und die Schwierigkeit, mit gutem Gewissen zu genießen, zur
Chronifizierung führen.
Zu
d. Nicht zu vernachlässigen sind „nicht
abgeheilte seelische Verletzungen“, die sich zu chronischen Schmerzen
entwickeln können. Seelische Verletzungen können sehr unterschiedliche
Gründe haben und sind auch dem
Betroffenen nicht immer
bewusst. So kann zum Beispiel eine körperliche Verletzung auch ein
seelisches Trauma bedeuten, wenn
das Selbstbild einer Person als unversehrter und leistungsfähiger Mensch
beschädigt wird. Todesfälle von nahestehenden Menschen, Trennungen, Kränkungen
und Zurückweisungen aber auch andauernde Streitigkeiten und ungelöste
zwischenmenschliche Konflikte können zu seelischen Verletzungen führen.
Von großer Bedeutung sind ungelöste
innere Konflikte, die durch oben benannte Ereignisse angestoßen
werden, und im Stillen quälend fortbestehen. Bei seelischen
Verletzungen ist entscheidend, wie wir mit ihnen umgehen. Aktiv Probleme
anzusprechen und sich mitzuteilen, ist
günstiger, als „alles in sich hineinzufressen“, zu schweigen und
heimlich der ganzen Welt Vorwürfe zu machen.

Die
Behandlung chronischer Schmerzen
Für die Behandlung chronischer Schmerzen gibt es
nicht „das eine Verfahren“, das den Schmerz endgültig besiegt. Ein
fächerübergreifendes, am praktischen Erfolg orientiertes
(interdisziplinäres, polypragmatisches)
Vorgehen, das biologische,
psychologische und soziale Einflussfaktoren berücksichtigt, ist
erforderlich. Bereits in der Phase der Diagnostik sollte dem Patienten das
Vorgehen möglichst transparent gemacht werden. Zu erfahren, wie sich der
Arzt die Schmerzen erklärt und welche Ursachen er aufgrund welcher
Diagnostik ausschließt, hilft die Zusammenarbeit zwischen Patient und
Behandelnden zu fördern. Bei Behandlungsbeginn
empfiehlt es sich, realistische
Zielsetzungen zu besprechen, um Illusionen und Enttäuschungen
vorzubeugen. Neben der Schmerzreduktion
sind auch die Verbesserung der Lebensqualität
bei fortbestehenden Schmerzen und
die Minderung der schmerzbedingten Beeinträchtigungen wichtige
Behandlungsziele. Eine erfolgversprechende Behandlung sollte schon frühzeitig verschiedene
Behandlungsverfahren (psychologische Therapie, medikamentöse, krankengymnastische
Behandlung, Massagen, Schulungen, etc.) sinnvoll kombinieren und aufeinander abstimmen.
Von großer Bedeutung ist die
Mitarbeit des Patienten. Zunehmende Passivität ist schädlich. Für
die oft langwierige Behandlung ist eine gute Zusammenarbeit zwischen
Patienten und Behandlern erforderlich. Eine systematische
Selbstbeobachtung durch das Führen eines Schmerztagebuchs ist
erforderlich, um auch geringe Erfolge von Behandlungsmaßnahmen einschätzen
zu können und die Motivation und den Durchhaltewillen zu fördern. Regelmäßige
gymnastische Übungen zur Dehnung und Stärkung der Muskulatur (z.B. bei Rückenschmerzen),
regelmäßige Entspannungsübungen oder eine umfassende Umstellung der
Lebensführung erfordern viel Eigenaktivität, Einsatz und Ausdauer.
Ermutigung durch Behandelnde,
Freunde und Partner ist notwendig. Oft ist über längere Zeit eine Medikamenteneinnahme nach Plan
erforderlich. Auch ist es notwendig mit Belastungen und Überforderungen anders umgehen
zu lernen: Wie schon erwähnt,
sind viele chronisch Schmerzkranke äußerst leistungsorientiert und
neigen dazu, sich dauerhaft zu überfordern.
Wenn dann ständig Schmerzen auftreten, überwiegt ein zu starkes
Schonungsverhalten. Sind die Schmerzen einmal geringer, wird versucht, alles
Versäumte nachzuholen, was wiederum zu Überforderung und Schmerzverstärkung
führt. Solche schädigenden Verhaltensmuster zu verändern und sich mehr
am eigenen Befinden statt an Leistungsnormen zu orientieren, ist u.a. ein
Ziel verhaltenstherapeutischer Maßnahmen.
Einige verhaltensmodifizierende Verfahren der
Schmerzbewältigung finden sie in der folgenden Auflistung:
 |
systematische Selbstbeobachtung durch
Führung eines Schmerztagebuchs |
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ausgewogenes (an die Belastbarkeit angepasstes körperliches) Training |
 |
Entspannungsverfahren (Autogenes Training; Progressive
Muskelrelaxation; Yoga; Tai-Chi, etc.) |
 |
innere Aufmerksamkeitsumlenkung (Imaginationsverfahren) |
 |
äußere Aufmerksamkeitsumlenkung (Genuss-Übungen) |
 |
Steuerung von inneren Selbstgesprächen (Hoffnung fördern statt
Katastrophenängste schüren) |
 |
Selbstinstruktionstraining (sich selbst systematisch Anweisungen geben
lernen)
|
Die in der Literatur empfohlene koordinierte fächerübergreifende
Behandlung wird oft erst dann
begonnen, wenn
der Patient (und der
Behandler) nach Rückschlägen
bei Verfahren, die am rein körperlichen Verständnis von Schmerz orientiert sind, durch ein
Wechselbad von Hoffnung und Enttäuschung gegangen ist.
Die Überweisung
an einen Psychotherapeuten oder Psychiater wird von manchen
Patienten zu diesem Zeitpunkt als Entwertung erlebt. Sie fühlen
sich abgeschoben und als eingebildete Kranke oder Verrückte abgestempelt.
Sinnvoll ist es, schon zu Beginn der Behandlung seelische Einflussfaktoren
zu berücksichtigen und entsprechende Verfahren zeitlich parallel
anzuwenden. So kann man in manchen Fällen notwendige Medikamentendosen und damit auch
Nebenwirkungen reduzieren. Voraussetzung ist, dass Patienten gut über
ihre Erkrankung informiert sind, weniger Angst haben und regelmäßig
Entspannungsverfahren anwenden.
Ich hoffe, dass die Ausführungen
dazu beitragen, Missverständnisse
über psychologische und psychotherapeutische Verfahren aufzuklären und
Betroffenen Ängste zu nehmen. Im Mittelpunkt der hiesigen Ausführungen
standen
psychologische und psychotherapeutische Überlegungen. Informationen über die
Besonderheiten der Ursprungserkrankungen („erste Verletzung“) sind gleichermaßen
wichtig!
Links zum Thema Schmerz
finden Sie auf unserer Seite "Hilfe
und Selbsthilfe"/Schmerz.
Weitere interessante Informationen finden Sie bei diversen
Medizin-Servern, die wir auf der Seite "Medizin
und Gesundheit"/Gesundheitsportal zusammengestellt haben sowie in den
medizinischen Rubriken von www.stern.de,
www.zdf.de, www.wdr.de,
www.dak.de und www.aok.de.
Vertiefende
und weiterführende Literatur:
1. Mit dem Schmerz leben
- Anleitung zur Selbsthilfe. Broome/Jellicoe. Verlag H. Huber, 1999
2.
Was bei Schmerzen hilft - Ein Ratgeber.
Stein Husebö. Herder Verlag, 2001
3. Freundschaft mit dem eigenen Körper
schließen. Hanne Seemann. Klett-Cotta, 1998
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Veröffentlicht am 10. Februar 2001
Letzte Aktualisierung am 13. November 2001
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